Ein modern umgebautes, ehemaliges Botschaftsgebäude mitten im Treptower Park, postmodern mit Aluminium verkleideter Fassade. Neben einer Schusterbank türmt sich ein Stapel Lederschuhe auf dem Parkett. Unter dem langgezogenen Fenster, das die Fassade spaltet, bullert ein gusseiserner Holzofen. Man blickt auf große Platanen vor stahlblauem Berliner Himmel. Es mischt sich der Duft von Leder und Rauch.
Ich sitze beim Designerduo des Berliner Schuhlabels ‚Trippen‘ im ersten Stock ihres Ateliers. „Ist das ok, wenn ich für Dich miterzähle?“ fragt Michael Oehler seine Geschäftspartnerin Angela Spieht. „Tu das.“ Angela lehnt sich zurück und überlässt Michael zuerst das Wort.
„Angela ist Designerin. Sie hat bei bama angefangen, war danach in Asien und hat Design unterrichtet. Ich bin Schuhmachermeister, habe Maßschuhe fürs Theater gemacht. Wir kamen in den 80ern nach Berlin, haben uns hier kennen gelernt. Dann ist die Mauer gefallen. 1990 haben wir gestartet, die GmbH wurde 94 gegründet. Angela wollte ihren modischen Traum verwirklichen, ich den ganzheitlichen Gedanken.“ Im Eilschritt hakt Michael die Stationen ab, er hat es schon x-Mal erzählt. Trotzdem tut er mir den Gefallen. Über die Namensfindung erzählt Angela: „Wir fingen an mit Holzschuhen. Dazu braucht man nicht viele Maschinen und kann frei experimentieren. Trippen sind mittelalterliche, hölzerne Plateauschuhe, mit denen man trockenen Fußes durch die schmutzigen Straßen kam. In München lief damals eine Ausstellung über Trippen. Wir waren uns sofort über den Namen einig, konnten ihn sogar als Marke schützen lassen, weil das Wort so ungebräuchlich ist. Über die Holzschuhe werden wir immer noch wahrgenommen, 2001 haben wir 145.000 Paar in der Spitze gemacht.“
Die beiden wirken eingespielt wie ein Ehepaar, obwohl sie nur Geschäftspartner sind. Wenn man sich seit fast 30 Jahren kennt, macht das aber wohl keinen Unterschied.
Trippen zählt mit Geschäften in weltweit derzeit 32 Ländern zu den wohl erfolgreichsten Berliner Modedesign-Unternehmen. Das Design von Trippen, egal ob aus Holz oder Leder, scheint fast freidenkerisch. Es orientiert sich nicht an der klassischen Leistenform der Schuhmacher, sondern an der Freude an den gestalterischen Möglichkeiten. Mit ihrem Anspruch an modische Langlebigkeit, anatomische Passform und ökologische Sinnhaftigkeit der Schuhe haben Angela und Michael schon vor 20 Jahren das getan, was sich heute Eco-Fashion nennt. In dem Punkt betreibt Michael kommunikatives Understatement: „Es ist schwierig, etwas für neu zu verkaufen, was man schon immer gemacht hat. Wir könnten uns auch supergrün darstellen, aber das ist doch die Voraussetzung für alles gewesen! Wir kommen gar nicht auf die Idee, zu erzählen, dass wir Gummi benutzen, weil es recyclebar ist. Oder dass unser Leder pflanzlich gegerbt ist oder wir kein geprägtes Leder oder Spaltleder verwenden. Mittlerweile sind wir glücklich, dass dieser Wertedialog klar geworden ist.“
Die Trippen Gallery in der Alten Schönhauser Straße 45 in Mitte
Bis zur Lehman-Pleite haben sie in vielen kleinen Familienbetrieben in Italien produziert, aber die sterben aus, weil der Nachwuchs fehlt. Nun stellt Trippen zu 80% in Deutschland her. Im Berlin-nahen Zehdenick wurden schon vorher alle speziellen Designprojekte umgesetzt. „Jetzt hängt wieder viel an uns“, sagt Michael. „120 Leute in der Produktion, insgesamt rund 200. Der harte Kern sind wir zwei. Wir haben diese administrative Zwischenebene nicht, dachten, es würde mal ein Geschäftsführer vom Himmel fallen. Die Vorstellung habe ich aufgegeben. Vieles ist so organisiert, dass wir die Ziele vorgeben, moderieren und sich die Mitarbeiter selbst organisieren. Jeder muss Verantwortung für seine Arbeit tragen.“
Rund 15 Jahre haben Angela und Michael hart gekeult, sagen sie. Jetzt arbeiten sie nicht mehr so viel: „Einmal in der Woche sind wir im Büro, für Kommunikation zwei Mal, dann in der Produktion noch 2 Tage – das war’s.“ Michael nahm sich kürzlich eine zweimonatige Auszeit im Benediktinerkloster Münsterschwarzach. Angela hat Familienzuwachs bekommen: Eine Englische Bulldogge namens Otto. „Der ist aber tagsüber hier im Plänterwald in der Hunde-Kita und trifft dort seine Kumpels“, sagt sie und lacht.
„Berlin ist unsere Stadt. Wir wollen nirgendwo anders hin. Wir fanden Berlin schon vor 20 Jahren toll, als es ganz unscheinbar hinter den großen Metropolen anstand. Derzeit erscheint mir Berlin allerdings wie Ibiza: Party Party.“
Habt ihr eigentlich einen Modetick – neben Schuhen? Michael: „Ich mag getragene, eingerissene Klamotten mit Seele. Aber die trage ich mittlerweile lieber drunter, sonst wird man komisch angeschaut.“ Angela liebt Schwarz: „Das macht das Leben einfacher. Man kann in schwarzer Kleidung alles, ins Büro gehen, ins Restaurant. Es ist immer Launenkompatibel.“
Ohne Frage tragen beide Trippen. Michael hat das Bein übergeschlagen. Der große Schriftzug auf seiner Schuhsohle ist auch von weitem zu lesen. Ob sie denn den Menschen auf die Schuhe gucken, möchte ich wissen. Angela überlegt keine Sekunde: „Immer! Das geht so schnell, es ist mir völlig unbewusst. Danach erst gucke ich hoch, ins Gesicht. Man drückt sich immer aus mit seinen Kleidern, transportiert Infos über die Persönlichkeit. Auch wenn man sich verstellt, macht man das. Dann können Schuhe einen verraten: Herren im besten Alter in schnoddriger Kleidung mit rahmengenähten Schuhen, die richtig Geld kosten – da weiß man, hier hat wieder jemand versucht, leger auszusehen.“
In Trippen wäre das dem Herrn bestimmt nicht passiert.
unter anderem Trippen Gallery, Alte Schönhauser Straße 45, 10119 Berlin-Mitte
© Verführer – Das Beste aus Berlin | Interview: Stephanie Schneider | Foto Michael & Angela: Jürgen Holzenleuchter | Foto Trippen Gallery: Annette Hauschild
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