Viele Menschen gehen täglich die Potsdamer Straße entlang. Auf der Suche nach Shops und Galerien, oder weil sie ihrem Daily Business nachgehen. Vor dem Haus Nr. 81 bleiben manche verdutzt stehen und schauen staunend durch die gläserne Fassade. Dahinter sitzen an einem hölzernen Arbeitstisch drei junge Frauen, adrett in weißen Blusen mit schwarzer Schluppe, die Haare hochgesteckt, vertieft in ihre Arbeit. Sie fertigen Hüte. Ganz traditionell von Hand.
Es liegt nicht nur an den Gesten, wenn sie mit Nadel und Faden in sicheren Stichen das Ripsband am Hut befestigen, oder mit dem Bügeleisen geschickt den Stroh-Rohling in die gewünschte Form bringen. Es ist auch das Ambiente, das sie umgibt. Der Anblick katapultiert mich in verloren geglaubte Zeiten: Zahllose alte und neue Holzköpfe, auf denen man den gedämpften Filz in Form zieht, gestreifte Hutschachteln in schwarz-weiß oder rose, fertige oder noch in Arbeit befindliche Kopfbedeckungen aller Art, aus Stroh, Stoff, Filz, mit Federn, Tüll oder Schleifen. Ich kann mich kaum satt sehen.
Durch eine Tür in der Glasfassade betrete ich den großen Verkaufsraum. Wobei das Wort groß es nicht trifft. Der Raum atmet Weite, denn fast alles um mich herum ist weiß. „Ich liebe Weiß schon immer. Mich faszinieren die unterschiedlichen Töne, die diese Farbe je nach Material oder Struktur annimmt. Allein hier im Raum – wie viele verschiedene Weiß-Töne es hier gibt! Die Farbe ist wie eine Leinwand, die ideale, neutrale Fläche für die Präsentation unserer Hüte.“ Das sagt Fiona Bennett zu mir. Sie ist die wohl bekannteste Hutdesignerin Berlins und Inhaberin des außergewöhnlichen Ladens. Fiona kam im Alter von 6 Jahren aus England und lebt seither in Berlin.
„Hüte als Ausdruck natürlicher Exzentrik“
Seit 25 Jahren sind Hüte für Fiona Bennett nun Thema. Sie hat Charisma und ihre braunen Augen sprühen, wenn sie über ihre Arbeit spricht. Berlin hat sie geprägt, auch wenn England, das Land der Hüte, auf sie einen besonderen Einfluss hatte, zumal ihr Vater Engländer ist: „Die Engländer tragen Hut mit einer natürlichen Exzentrik – so nenne ich das. Es ist Ausdruck von Lebensgefühl, Liebe zur Mode und Augenzwinkern zugleich.“ Auf meine Frage, ob denn mehr England oder mehr Berlin in ihren Hüten steckt, sagt sie: „Bei einer Ausstellung in London habe ich gemerkt, dass ich doch eine eher deutsche Formensprache habe. Die englische Hutmode wird größtenteils von Männern gemacht. Und Männer haben einen ganz anderen Blick auf Frauen. Dort haben die Hüte mehr Schleier oder Blümchen. Meine Formensprache ist zwar weiblich, aber klar in der Form. Dass meine Modelle trotzdem verspielt wirken, liegt an den Strukturen der Materialien, die ich verwende.“
Eine inspirierende Mischung
Während Fiona zwei Kundinnen im Séparée-artigen Bereich, der Atelier und Verkaufsraum verbindet, berät, unterhalte ich mich mit Hans-Joachim Böhme, dem Partner von Fiona. Er deutet hinaus auf die Potsdamer Straße: „Hier, in der Nachbarschaft, ist Berlin noch so, wie es früher war. Die Mischung macht den Zauber aus. Gehen Sie doch gleich mal gegenüber durch die Hoftür. Sie meinen, sie würden sich in Paris wieder finden! Dann hier nebenan, ist der Hof noch echt Berlinerisch, auf charmante Art heruntergekommen. Genau darin steckt die Kreativität. In Mitte wurde es Fiona Bennett zu glatt und zu beliebig. Darum sind wir Ende April 2012 hier her gezogen.“ Dann zeigt mir Hans-Joachim den heimlichen Topseller: Eine Herrenkappe, von der Brad Pitt allein drei Modelle gekauft hat. „Man sieht ihn in letzter Zeit auf Fotos fast immer mit einer unserer Kappen“, sagt er stolz. Fionas Kundschaft trägt noch mehr berühmte Namen: Christina Aguilera. Nadja Auermann. Roger Cicero. Mit ihm gemeinsam hat Fiona den kleinen Männerhut wieder en vogue gemacht. Fiona erzählt: „ Hüte waren in den 80ern verbrannte Erde, denn man trug kaum noch Hut. Dann kam der Wandel. Wie auf einer leeren Leinwand konnten wir den Hut quasi neu erfinden! Sogar Namen habe ich geprägt: Wir nannten Rogers Hutmodell „Sinatra“. Und mittlerweile spricht die Branche vom Sinatra. Oder die kleinen, burlesquen Hüte – die nennt heute jeder Fascinator. Ich habe damit angefangen“, sagt sie selbstbewusst. Und wirkt auf mich wie der Popstar ihrer Zunft: kreativ, mutig, in andere Richtungen denkend. Immer auf der Suche nach den Brüchen, Ecken und Kanten, weg vom Konformismus. Dabei die Liebe zum Handwerk immer im Fokus: „Der Boden unseres Geschäfts ist ein Intarsien-Kunstwerk von Barbara Carveng. Sie hat hier Teile unseres alten Arbeitstisches integriert und dort Scheiben von Holzköpfen. Und da hinten findet sich neben dem Bügelbrett sogar ein Spätzle-Brett. „Das hat zwar nichts mit Hüten zu tun“, lacht sie, „aber ist eine Reminiszenz an die weibliche Handwerkskunst.“ Genau das ist es, denke ich. Weiblich. Handwerk. Und Kunst. Vereint in Fiona Bennett, ihrem Geschäft und in ihrer Vision. Eine wahrhaft inspirierende Mischung!
Potsdamer Straße 81 | 10785 Berlin-Schöneberg | 030 280 96 330 | www.fionabennett.com
Wir sagen Fiona Bennett und Fotogaf Marcel Steger an dieser Stelle nochmals vielen Dank für das wunderschöne Titelbild der Verführer-Herbstausgabe 2012!
© Verführer Berlin | Text & Fotos: Stephanie Schneider